Ulrich Wegener: Liebe S., bitte informieren Sie mich, was Sie mit "Missbrauch" meinen und erlebt haben.
S.: Was ich meine ist, dass mehrere Pädagogen zu verschiedenen Mädchen über längere Zeiträume sexuelle Kontakte pflegten, ihr pädagogisches Wissen nicht nutzten, um den Mädchen zu helfen, sondern sie gegeneinander aufzuhetzen, damit ihr Tun nicht ans licht kommt. Als diese Mädchen zu unbequem wurden, wurden sie eiskalt fallen gelassen. Sie waren sich ihrer Manipulationen so sicher, dass sie selbst vor einer Selbstanzeige nicht zurückschreckten, um ihre "Unschuld" zu beweisen. Sie konnten sich der Loyalität ihrer Mädchen 100% sicher sein. Und der Hinweis über diese Praktiken an die Polizei kam ja auch nur von einer alkoholkranken Mutter einer Geschädigten und verlief dadurch direkt im Sande ...
WEGENER:
Liebe
S.,
ich erinnere mich genau und sofort
an diesen Verdacht einer, dieser
Mutter, der nicht nur von mir,
sondern auch anderen, darunter der
Rechtsanwältiin
Barbara
Kramer
und den Frauen der Polizei sehr
ernst genommen wurde.
Was Sie jetzt berichten, durfte
trotzdem niemals vollkommen ausgeschlossen,
durfte aufgrund der Ermittlungen
aber für praktisch unwahrscheinlich
gehalten werden. Ihren Bericht hier
werde ich an die damals Ermittelnden kommentarlos weiterleiten.
Ihr Bericht macht mich
selbstverständlich sehr betroffen.
Es gab unter meiner Leitung
mehrere Fälle unbeweisbaren
sexuellen "Missbrauch", weshalb ich
deshalb leider nicht kündigen
konnte, nur anders zur Aufgabe der
Mitarbeit im Kinder- und Jugendhaus
und Aufgabe des PädagogInnen-Berufs
veranlassen konnte. Leider gelang
das zwar immer mit der Aufgabe der
Mitarbeit im Remenhof, leider nicht immer mit
der Aufgabe des Berufs an anderer
Stelle oder dann gar als
Selbstständiger, ohne
kontrollierenden Vorgesetzten.
Selbstkritisch muss ich
- nun auch durch Ihren Bericht - feststellen,
dass meine Aufklärung der jungen
Menschen über sexuelles Denken und
Handeln nicht offensiv genug war.
Vor allem auch in der Frage der
sexuellen Ausbeutung durch
Erwachsene. Das ist nicht zu
entschuldigen. Andererseits dürfte
ich mit der gebotenen Aufklärung
noch früher als erst 1999 gekündigt
worden sein. Für meine Kündigung und
Entfernung war auch ausschlaggebend,
dass ich die gebotene offensive
Aufklärung der jungen Menschen
angekündigt hatte, für die meisten
MitarbeiterInnen und zwei von drei
Vorstandsmitgliedern sowieso schon
immer zu offensiv aufklärte. KeineR
hatte den Mut, mich deshalb offen
und öffentlich zu kritisieren. Auch
nicht bei verpflichtenden internen
Fortbildungen unter anderen mit
Helmut
Kentler, einem
Pädagogik-Professor und
Sexualwissenschaftler aus Hannover
und Barbara
Kramer, die als Rechtsanwältin auf
Straftaten gegen Frauen und junge
Menschen spezialisiert ist, für
Frauenhäuser und im Frauenhaus
Wolfenbüttel aktiv war und ist.
Mitarbeiterinnen versuchten -
erfolglos - mich zu erpressen, weil
sie eine sexuelle Beziehung zu einem
Vorstandsmitglied hatten. Auch das
Vorstandsmitglied versuchte -
erfolglos, klar - für seine
"Geliebten" von mir größere
Nachsicht bei deren Fehlverhalten zu
fordern.
Dieses Vorstandsmitglied betrieb
dann ab 1997 meine Kündigung, wofür
zwei Männer mit hohem Honorar
beauftragt wurden. Als eine Begründung
für meine Kündigung wurde
schriftlich gegenüber den
Arbeitsgerichten, damit öffentlich
die Lüge aufgestellt, ich hätte am
2. Weihnachtstag 1998 vor 4 Uhr
Zutritt von einer 16jährigen in ihr
Einzelzimmer verlangt, was diese nur
durch ihr Zuhalten der Tür
verhindert habe. Eine Mitarbeiterin
bestätigte diese Lüge mit
schriftlichen Aussagen, auf
Anweisung des kommissarischen
Leiters, verweigerte aber die
Zeugenaussage durch Nichterscheinen
beim Gericht. Ich verzichtete
gegenüber den Mitarbeiterinnen und
dem Vorstand auf
eine Strafanzeige wegen
Falschaussage. Auf meine Bitte
drohte meine Rechtsanwältin
KÖNIG-JANSEN dem Vorstand für
die Wiederholung dieser
ungeheuerlichen Vorwürfe mit
sofortiger Strafanzeige. Die junge Frau
erklärte später an Eides statt, dass der Vorwurf nicht von
ihr stammt, ihr gar nicht bekannt
war, eine Lüge ist. Der
Vorstand musste dann im Zeugnis über
mich wahrheitsgemäß feststellen,
dass ich mich immer vollkommen
tadelsfrei verhalten habe, alle
Vorwürfe falsch waren. Vom erwähnten
Vorstandsmitglied werden diese und
andere Lügen noch immer im Gespräch
verbreitet, leider ohne dass das zu
beweisen ist.
Liebe S., ich hoffe sehr,
dass es Ihnen gelungen ist, die sexuelle
Ausnutzung so zu verarbeiten, dass
dadurch kein akuter Schaden mehr
besteht. Auf jeden Fall biete ich
jede mir mögliche Hilfe an, kann
auch Hilfen und HelferInnen
vermitteln. Die sexuelle Ausnutzung
als junger Mensch bleibt ein Leben
lang belastend, muss bei richtiger
Hilfe aber kein akuter Schaden sein.
Ich weiß aus eigener Erfahrung und
aus meiner Erfahrung als
Psychotherapeut, dass Hilfe Erfolg
hat, Hoffnung auf Erfolg niemals
aufgegeben werden darf, immer
notwendig und begründet ist. Bitte geben Sie mein
Angebot an alle im Remenhof Betroffenen weiter.
S.: Zu den von dir erwähnten Ermittlungen gehörte unter anderem , dass meine Tagebücher vom polizeilichen Ermittlungsdienst zwar mitgenommen, aber offensichtlich nicht gelesen wurden. Zur Verarbeitung meiner Erfahrungen damals werde ich mich im Laufe des Tages äußern - jetzt nur den Kommentar eines Psychologen, den ich vor 3 Jahren aufsuchte: "Bewundernswert, dass Sie überhaupt noch stehen, geschweige, dass sie arbeiten und 2 Kinder allein großziehen!"
WEGENER:
Der Kommentar des Kollegen
Psychologen stimmt auf jeden Fall.
Die Verringerung des Schadens der
sexuellen Ausnutzung durch Opfer ist
eine sehr schwierige und
schmerzhafte Aufgabe, die nicht alle
Opfer schnell genug schaffen. Ohne
richtige Hilfe kann sexuelles
Ausgenutzt-Werden für junge Menschen
tödlich sein und ist es leider auch
dann noch viel zu oft. Weshalb das
ein schlimmes Verbrechen ist, immer,
durch nichts und niemals zu
entschuldigen ist.
PädagogInnen müssen immer sexuelles
Verhalten mit jungen Menschen
ablehnen, müssen das Ablehnen lernen
und trainieren. Was aber leider
keine Pflicht für PädagogInnen ist.
Obwohl das seit Jahrzehnten
gefordert wird und alle Menschen das
lernen können.
Was die Polizei machte, weiß ich
nicht genau. Es waren die
Spezial-PolizistInnen für sexuellen
Missbrauch mit den Ermittlungen
beauftragt, das weiß ich sicher.
Rechtsanwältin Barbara
Kramer weiß
da mehr und Genaues. Wenn Sie es
möchten, bitte ich Frau
Kramer,
Kontakt mit Ihnen herzustellen. Sie
wird Ihnen alle Ihre Fragen
beantworten.
Liebe
S., hier können alle
alles lesen. Sie können mich auch
vertraulich mit einer Nachricht oder
mit Mail über Ulrich-Wegener@gmx.de
informieren. So oder so bitte ich
Sie herzlich um Ihre Informationen,
bin Ihnen dafür sehr dankbar. Ihre
Informationen sollten öffentlich
sein, damit dadurch gelernt werden
kann. Die öffentliche Information
kann dann aber so gemacht werden, dass
niemand erkennen kann, wer die
Betroffenen, die Opfer sind.
S.: Es hat viele Jahre gedauert, bis ich öffentlich über diese Erfahrungen sprechen konnte. Die Manipulationen gingen noch weit über meine eigentliche Remenhofzeit hinaus und die Konsequenzen trage ich täglich. Vermutlich können sich viele andere in meiner Geschichte wiedererkennen - und wenn es nur einem das Gefühl gibt, nicht allein zu sein mit seinen Erlebnissen, trage ich diesen Teil von Herzen gern dazu bei!
WEGENER:
Liebe
S.,
Ihre öffentliche Information ist
sehr wichtig für alle anderen
Betroffenen und Opfer. Sie ermutigen
diese damit, für sich selbst Hilfen zu
suchen und anzunehmen.
Ihre Informationen gebe ich
- Ihre Zustimmung vorausgesetzt - unkommentiert und vertraulich nur an
die infrage kommenden Täter weiter.
Wenn Sie es schaffen, bitte ich um
weitere, detaillierte, konkrete,
wenn Sie wollen vertrauliche
Informationen. Selbstverständlich
werde ich mit Ihren Informationen nur
das machen, was Sie ausdrücklich
erlaubt haben und buchstäblich
nichts eigenmächtig tun. Das
verspreche ich Ihnen. Das kann ich
versprechen, weil ich das in sehr
vielen anderen Fällen bereits
geschafft habe. In meiner Praxis für
Psychotherapie waren bisher die
knappe Hälfte der Patientinnen und
etliche Patienten Opfer sexueller
Ausnutzung im Kindes- und
Jugendalter. In der Hilfe für Opfer
bin ich also nicht unerfahren, habe
mich bereits im Studium ab 1972 mit
dieser Frage zunächst theoretisch
intensiv beschäftigt, unter anderen
mit Hilfe von Elisabeth
Müller-Luckmann. Obwohl das Thema im
Studium und in der
Therapeuten-Ausbildung damals noch
sehr weit tabuisiert war.
Alle Opfer, erst recht alle Opfer
und Zeugen unter den RemenhoferInnen,
auch wegen sexueller Ausnutzung
während ihrer Remenhof-Zeit, auch
unter meiner Leitung von 1984 -
1999 bitte ich sehr herzlich um ihre
umfassenden Informationen. Sehr gern
nehme ich auch Einladungen zu einem
Gespräch an, komme dafür an jeden
vereinbarten Ort und jeder
vereinbarten Zeit. Betroffene RemenhoferInnen bitte ich, ein
Interview mit mir per Video
aufzuzeichnen. Das ist aber
keineswegs eine Bedingung für ein
Gespräch oder Kontakte in welcher
Form auch immer. Es gibt bereits
einige, allerdings unveröffentlichte
Schrift- und Video-Dokumente.
Das alles hilft mir auch für mein
Angebot an Weiterbildung für
PädagogInnen in Schulen, Heimen,
Vereinen und anderen Einrichtungen
für junge Menschen, vom Kindergarten
an. Mein Weiterbildungs-Angebot
findet leider zu wenig, aber
immerhin Interesse, ist - wenn es
anders nicht geht - honorarfrei.
Meine Erfahrungen in der Hilfe für
Opfer seit Mitte der 70er hatte ich
bereits aufgeschrieben, noch nicht
veröffentlicht. Bei der Räumung
meiner Praxis und Wohnung während
und wegen meiner Krankheit 2011 wurden
dieses und alle anderen Manuskripte
leider vernichtet. Darunter auch
mein Bericht als Opfer von 1953 bis
1961 und wie ich bis 1969 lernte,
damit zu leben.
Vielen Dank für Ihr Vertrauen.
S.: Ich finde sehr gut , was du machst und trage gern meinen kleinen Teil dazu bei! Wenn ich morgen meine Kinder zur Schule gebracht habe, werde ich zusammenfassen, was mir, in der Zeit von 1987 bis 1992 auf den Remenhof passiert ist, wie es dazu kam und welche Folgeschäden daraus resultierten .